Aus der GAZ: "Gießener Zeit war die glücklichste"
Zwei Brüder und Spitzenpolitiker, ein Buch, ein Ereignis am Landgraf-Ludwigs-Gymnasium: Hans-Jochen Vogel, Bernhard Vogel und Schulleiter Manuel Lösel (v. l.) bei der Vorstellung von »Deutschland aus der Vogelperspektive« im Jahr 2007.

Aus der GAZ: "Gießener Zeit war die glücklichste"

Die Gießener Bombennacht am Nikolaustag 1944 hat Bernhard Vogel im Luftschutzkeller überlebt. Der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und später von Thüringen, der gestern im Alter von 92 Jahren verstorben ist, hat einen Teil seiner Kindheit in der Universitätsstadt verbracht. Hier lebte er mit seiner Familie, ging aufs LLG, war Messdiener in St. Bonifatius. Zeitlebens blieb er Gießen eng verbunden.

 Vogel ist ein prominenter Name in Deutschland. Die Brüder Hans-Jochen und Bernhard Vogel machten Karriere in der großen Politik - in zwei verschiedenen Parteien. SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel († 2020), als OB von München, in zwei Bundesministerien, als SPD-Fraktions- und Parteichef. Sein jüngerer Bruder Bernhard trat in die CDU ein und war von 1976 bis 1988 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, von 1992 bis 2003 Ministerpräsident von Thüringen. Gestern ist Dr. Bernhard Vogel verstorben, im 93. Lebensjahr. Vogel ist auch ein prominenter Name in Gießen. Einen Teil ihrer Kindheit verbrachten die Brüder in der Stadt, besuchten die Schule, erlebten den Krieg. Es gibt viele Verbindungen und Erinnerungen.

Intensive Kontakte zum LLG

Bernhard Vogel wird am 19. Dezember 1932 in Göttingen geboren und wächst in einem bürgerlichen Elternhaus auf. Der Vater ist Privatdozent in Göttingen, dann Professor für Tierzucht und Milchwirtschaft in Gießen. Die Familie zieht Anfang der 30er Jahre an den Hardthof. Bernhard Vogel geht in die Volksschule, dann, wie sein Bruder, aufs Landgraf-Ludwigs-Gymnasium.

Den Zweiten Weltkrieg erlebt Bernhard Vogel hautnah, Luftangriffe auf die Stadt Gießen, die Ausbombung des elterlichen Hauses, Flucht aufs Land und die ständige Sorge um den älteren Bruder, der im Kriegsdienst ist. In einer Rede bei einem späteren Jahrgangstreffen am LLG erinnert er sich an die Schließung der Schule und die Wiedereröffnung Ende 1945. Die Schulspeisung sei unendlich wichtig gewesen, »weil wir nichts hatten«, sagt er damals.

1949 zieht die Familie nach München. Dem Landgraf-Ludwigs-Gymnasium bleibt Bernhard Vogel wie sein Bruder aber zeitlebens verbunden - »vor allem seinem Abitursjahrgang 1954«, erzählt der Vorsitzende der Ehemaligenvereinigung des LLG, Gunter Weckemann. Auch wenn Vogel das Abitur im Gegensatz zu seinem Bruder nicht am LLG, sondern am Maximiliansgymnasium in München ablegt, bleiben die ehemaligen Klassenkameraden eng miteinander. »Bernhard Vogel hat stets intensivste Kontakte zu seinen Mitschülern gepflegt und kam regelmäßig zu den Abiturtreffen seines Jahrgangs«, sagt Weckemann, der ihn seit Jahrzehnten kennt und als sehr umgänglich erlebt hat - »als lachenden, freundlichen Menschen, der gerne mit anderen redete«. 2004 zu seinem goldenen und 2019 zum eisernen Jubiläum hat er ihn selbst geehrt. »Dieser Jahrgang hat seine Schulzeit als etwas sehr Positives beschrieben.« Bei der 400-Jahr-Feier der Schule 2005 habe Bernhard Vogel wie sein Bruder einen Vortrag gehalten. Daraus hat sich Weckemann bis heute ein Zitat gemerkt: »Talent ist sozialpflichtig.«

LLG-Schulleiterin Annette Pfannmüller kann auch eine Episode erzählen, die sie mit Bernhard Vogel verbindet: »Vor zwei Jahren, zu seinem 90. Geburtstag, habe ich ihm einen Glückwunsch geschickt und war sehr beeindruckt, eine handgeschriebene Karte als Dankeschön zurückzuerhalten - da hatte er unter eine andere Handschrift selbst noch zwei Sätze dazugeschrieben.«

Bernhard Vogels Elternhaus ist konfessionsgemischt, der Vater evangelisch, die Mutter gibt ihren Kindern ein katholisch geprägtes Weltbild mit auf den Weg. Mit der katholischen Gemeinde St. Bonifatius Gießen verbindet Bernhard Vogel viel: Wie sein Bruder war er dort Messdiener. Am 6. Dezember 2023 ist Bernhard Vogel als Förderer und Schirmherr der Eule-Orgel zum Mittwochskonzert in der Bonifatiuskirche zum Jahrestag des Bombenangriffs auf Gießen und Gedenkkonzert für seinen Bruder eingeladen. In seiner Ansprache sagt er damals etwas, was angesichts der gegenwärtigen großpolitischen Lage in der Welt aktueller nicht sein könnte: »79 Jahre später dürften wir dankbar für die längste Friedenszeit sein, die uns Deutschen unsere Geschichte beschert hat. In unseren Gebeten sollten wir Frieden in der Welt erbitten.« Zusammen mit seinem Bruder, hat Bernhard wesentlich dazu beigetragen, dass in St. Bonifatius eine neue Orgel gebaut werden konnte: Aus Verbundenheit zur Gemeinde hatten sie »ein entscheidendes Wort bei Kardinal Lehmann eingelegt«, erzählt Pfarrer Erik Wehner bei dem Konzert.

Für Bonifatius-Orgel ins Zeug gelegt

Die enge Verbindung Bernhard Vogels mit Gießen bestätigt auch Manuel Lösel, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Kultur, Bildung und Chancen, ehemaliger Schulleiter am LLG bis 2009, wo er Bernhard Vogel kennenlernte - als offenen und herzlichen Menschen. Vor 20 Jahren habe er ihn und seinen Bruder im Rahmen des 400. Geburtstags der Schule mit der Landgraf-Ludwig-Medaille ausgezeichnet - die Laudatio für ihn hielt übrigens Volker Bouffier, damals hessischer Innenminister. Seitdem pflegte Lösel regelmäßigen Austausch mit Vogel, traf ihn einmal im Jahr - »in Wiesbaden, der Region, in Berlin, an seinem Wohnort in Speyer: Er rief einfach an und schlug das vor. So war er«, erzählt Lösel, der für das LLG auch die Lesung der beiden Vogel-Brüder aus ihrem Buch »Deutschland aus der Vogel-Perspektive« 2007 in der Uni-Aula in Gießen organisiert hatte: »Ein großes Werk von zwei großartigen Menschen und Spitzenpersönlichkeiten.« Dass jemand Ministerpräsident in zwei verschiedenen Bundesländern werde, sei völlig einmalig, und das habe man auch den Schülern angemerkt: »Da hätte man eine Stecknadel fallen hören können.« Bei Gießen findet auch die Feier zum 75. Geburtstag Bernhard Vogels auf der Burg Gleiberg statt - organisiert von Lösel auf Bitten von Hans-Jochen Vogel.

Glockenklar sei Bernhard Vogel gewesen, bis ins hohe Alter. Auf die Frage, wie es ihm gehe, habe er ihm immer geantwortet: »Man ist halt keine 80 mehr«, erinnert sich Lösel.

Bis zum Schluss sei der Politiker sehr interessiert gewesen an Gießen. »In unseren Gesprächen ging es vor allem um seine Gießener Phase, die Schulzeit, den Krieg. Die Bombennächte hat er nie vergessen, habe die Stadt brennen sehen, Todesangst empfunden. »Aber auch die sonntäglichen Spaziergänge an die Rindsmühle in Leihgestern blieben in seinem Gedächtnis.« Und immer wieder die Schulzeit. »In Gießen hatte ich die unbeschwerteste und glücklichste Zeit meines Lebens - trotz des Krieges« - das hat Bernhard Vogel einmal zu Manuel Lösel gesagt. Und dass dieser bei seinen Besuchen immer auch die Gießener Tageszeitungen mitgebracht hat, war dem Ex-LLG-Schüler überaus wichtig.

 

Text und Bild: https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/giessener-zeit-war-die-gluecklichste-93605638.html (Zugriff: 04.03.2025)

 

 

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