Gießener Allgemeine Zeitung: Wenn die Zukunft zurückblickt

Gießener Allgemeine Zeitung: Wenn die Zukunft zurückblickt

Erneut hat das Landgraf-Ludwigs-Gymnasium erfolgreich beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teilgenommen. Acht Preise gingen an die Schülerinnen und Schüler des LLG. Die Arbeiten beschäftigten sich unter anderem mit jüdischen Rechtsanwälten während des Nationalsozialismus, der Überschreitung moralisch-persönlicher Grenzen sowie dem Wirken der JLU-Pionierin Prof. Helga Schmucker.

 Schüler richten den Blick meist in die Zukunft. Kein Wunder, schließlich liegt ein Großteil ihres Lebens noch vor ihnen. Das bedeutet aber nicht, dass das Vergangene sie nicht interessiert. Beleg dafür ist der Erfolg der Landgraf-Ludwigs-Gymnasiums beim Geschichtswettbewerb der Körber-Stiftung unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. 30 Schülerinnen und Schüler des LLG haben sich daran beteiligt, sechs Arbeiten wurden mit Landespreisen ausgezeichnet, zwei mit Förderpreisen. Schulleiterin Annette Pfannmüller ist stolz auf diese Leistung: »Es sind ganz außergewöhnliche Schüler, die den Wettbewerb mit tollen Projekten bereichert haben.«

Vom 1. September 2024 bis zum 28. Februar 2025 sind 6720 Kinder und Jugendliche deutschlandweit auf historische Spurensuche gegangen und haben 2289 Beiträge zum Thema »Bis hierhin und nicht weiter!? Grenzen in der Geschichte« verfasst. In Hessen wurden 175 Beiträge von 507 Teilnehmenden eingereicht und mit 19 Landes- und 19 Förderpreisen ausgezeichnet. Mit acht Auszeichnungen ist das LLG die landesbeste Schule. Am Dienstag fuhren die Schülerinnen und Schüler zur Preisverleihung in den Landtag.

 

LLG erfolgreichste Schule Hessens

Der Geschichtswettbewerb hat am LLG Tradition, seit 1986 ist die Schule dabei. Das Engagement ist eng mit Christoph Geibel verbunden, der die Teilnahme viele Jahre lang organisiert hat. Inzwischen ist er pensioniert und hat die Verantwortung an Dr. Steffen Boßhammer weitergereicht, als Tutor greift Geibel den Schülern aber weiterhin unter die Arme. »Wir haben im Vorfeld im Stadtarchiv Themen erarbeitet und diese den Schülern vorgeschlagen«, sagt Boßhammer. Einige Schüler hätten aber auch eigene Themen entwickelt. Der Nationalsozialismus sei dabei für viele das Favoritenthema gewesen.

Das trifft auch auf Elisabeth Aberschanski zu. »Eigentlich wollte ich mich mit meinen eigenen Wurzeln befassen«, sagt die 14-Jährige, die einen nigerianischen Vater und eine Mutter mit einem ukrainischen, russischen und jüdischen Hintergrund hat. Für diese Zeitreise durch ihre Familiengeschichte habe ihr aber das nötige Datenmaterial gefehlt, sagt die Neuntklässlerin. Umso glücklicher sei sie gewesen, als Geibel und Boßhammer ihr vorschlugen, sich der Geschichte jüdischer Rechtsanwälte in Gießen während der Nazi-Zeit anzunehmen. »Der Nationalsozialismus interessiert mich sehr. Das hat gepasst.«

Aberschanski durchforstete Briefe und Dokumente, um in das Leben der sechs Anwälte einzutauchen. Lediglich zwei von ihnen hätten die Nazi-Diktatur überlebt, drei seien im KZ getötet worden. »Der andere ist zwar emigriert, er hat dann aber Suizid begangen. Das zeigt, was das mit der Psyche de Menschen gemacht hat«, sagt Aberschanski und betont, dass die jüdischen Menschen ihrer Identität beraubt worden seien.

Auch die beiden 16-jährigen Mahdi Hadi und Michael Gleiser beschäftigten sich mit dem Nationalsozialismus. In ihrer Arbeit über die Überschreitung moralisch-persönlicher Grenzen untersuchten sie Beleidigungen und tätliche Übergriffe auf Gießener Verwaltungsbeamte in der Zeit von 1932 bis 1941. Dabei sei deutlich geworden, betonen die beiden Schüler, dass in Gerichtsentscheidungen Unterschiede in der Behandlung von Parteimitgliedern, sogenannten »Volksfremden«, und politisch Andersdenkenden gemacht wurden. Auch die veränderte Rechtssprechung in der Anfangszeit des NS-Regimes im Vergleich zur Spätphase der Weimarer Republik haben Mahdi und Gleiser durchleuchtet.

Nele Zeh kann sich ebenfalls über einen Landespreis freuen. Die 18-jährige Abiturientin hat sich mit dem Leben und Wirken von Prof. Helga Schmucker befasst. Die Wirtschaftswissenschaftlerin war nicht nur erste Professorin an der Justus-Liebig-Universität, sondern auch die erste Professorin für Haushaltswissenschaften in der gesamten Bundesrepublik. »Ich bin sehr an Frauengeschichte interessiert, und Helga Schmucker war diesbezüglich eine Pionierin«, sagt Zeh. Besonders beeindruckend sei gewesen, dass sich Schmucker in allen Belangen immer gegen Männer habe durchsetzen müssen und somit Wegbereiterin für viele weitere Frauen gewesen sei. »Das war sehr inspirierend«, betont Zeh, vor allem die Interviews mit zwei ehemaligen Studentinnen Schmuckers hätten ihr imponiert.

Schulleiterin Pfannmüller ist genauso stolz auf die Leistungen wie Organisator Boßhammer. Für Geibel gilt das Gleiche. Er freut sich auch, dass in diesem Jahr so viele junge Schüler am Geschichtswettbewerb teilgenommen haben wie noch nie. »Mit manchen Themen hat sich vorher noch nie jemand beschäftigt. Die Schüler haben also einen wichtigen Beitrag zur Gießener Stadtgeschichte geleistet.«

 

Aus der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 26.08.2025

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